ich bin traurig

Chorea Huntington, eine Nervenkrankheit (auch schon mal Corea Huntington). Für Betroffene und Angehörige

Moderator: Moderatoren

tinko
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Registriert: 21.02.2008, 08:08
Wohnort: Sachsen

Beitrag: # 19774Beitrag tinko »

Hallo liebe inschpup, kalle, inge und alle anderen zusammen,

leider war ich lange nicht im Forum, so dass ich jetzt erst verschiedene Dinge gelesen habe. Ich wollte nur noch mal gern was zum Alleinsein, Alleingelassenwerden von Angehörigen, Freunden sagen. Ich selbst bewundere meine Mutter bei der Pflege meines Vaters außerordentlich (Stufe 3) und sie hat meine uneingeschränkte Bewunderung für die Kraft, die sie hernimmt, wo auch immer. Aber ich ertappe mich auch oft dabei, dass ich für meine Eltern nicht so da sein kann und sie unterstützen kann, wie ich manchmal möchte. Es tut weh und mir stehen in letzter Zeit oft die Tränen, wenn ich meinen Vater leiden sehe, wie er immer schlechter schlucken kann, er verschleimt ist und nicht abhustet.
Was ich mit dem Ganzen sagen möchte, ist, dass es vielleicht manchmal keine Ingnoranz ist, sondern einfach Hilflosigkeit. Hilflos, weil man den Zustand nicht ändern kann. Hilflos, weil man dem pflegenden Angehörigen aus verschiedensten Gründen (beruflich) nicht mehr abnehmen kann. Mir geht es dann so, dass ich einfach die Kraft (an manchen Tagen) nicht so besitze, mit meiner Mutter über die Veränderungen und Verschlechterungen zu reden. Es tut einfach so weh!
Gern möchte ich meinen Eltern helfen und immer habe ich das Gefühl, es ist nicht genug....


Justine
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Beitrag: # 19781Beitrag Justine »

Liebe Tinko,
Ich weiß, was Du mit deinen Worten ausdrücken möchtest und diese Erklärung hab ich auch schon von vielen Menschen in unserem nahesten Umfeld gehört.
Dass es nicht nur Egoismus ist, der sie fernbleiben läßt sondern oft Unsicherheit und Hilflosigkeit oder einfach nur die Zeit, die jemanden fehlt da zu sein.
Aber jeder drückt dann seine Bewunderung aus, wie toll sie mein Verhalten finden und wie liebevoll und intensiv ich mich um meinen Mann kümmere.

Um ehrlich zu sein und das ist jetzt nur mein ganz persönliches Gefühl und wenn man es so ausdrücken möchte, mein persönliches Problem:
Ich hab absolut kein Verständniss für die "lieben" Verwandten und Freunde!
Es macht mich unsagbar wütend solche Worte und Erklärungen immer wieder zu hören. Für mich sind das Ausreden.

Ich fände es auch klasse, wenn das Leben nur Sonnenschein bereit hält, doch das Leben besteht eben aus noch viel mehr. Jeder von uns mußte das auf hartem Wege lernen. Es wurde nicht nach dem Alter gefragt, nicht nach der jeweiligen Situation.

Ich kann solche Erklärungen nicht akzeptieren.
Wir als pflegende Angehörige sind doch oft auch mal mit Situationen überfordert, fühlen uns unsicher und hilflos. Aber an wen wenden wir uns und bitten um Hilfe, wenn ein Teil von Verwandten und Freunde gleich weggelaufen ist und der andere einem erklärt oder zu erklären versucht, dass ihn der Verlauf der Krankheit immer trauriger macht oder er sich unsicher fühlt, dem ganzen nicht gewachsen und und und.

Hallo!!!! Wo solllen wir dann hin, wenn wir mal nicht weiterwissen, uns die Kraft fehlt? An wen können wir uns wenden? Ach ja, stimmt, wir sind ganz toll stark! Brauchen wir gar nicht.

Indem man jemand sagt"Du machst das ganz toll, leider bin ich für solch eine Situation nicht geschaffen und es macht mich ganz traurig zuzuschauen " macht man die ganze Situation doch noch viel schlimmer.
Man zwingt den pflegenden Angehörigen noch stärker zu sein, denn man läßt ihn alleine und lehnt den Betroffenen doch mit solch einem Verhalten ab.
Und was richtig schlimm ist, als Betroffener fühlt man diese Ablehnung doch auch.

Wer würde sich denn um deinen Vater kümmern, wenn deine Mutter das Handtuch schmeißen würde? Es verlangt niemand, dass Du dein Leben umkrempelst und alles aufgibst, doch wenn mir in den Jahren zuhause jemand wirklich zur Seite gestanden hätte, dann wäre vieles leichter.
1mal die Woche sich einen ganzen Tag um den Betroffenen kümmern, wenn das im Wechsel von 1, 2 oder 3 Verwandten und oder Freunden mal gemacht wird. Ist das zu viel verlangt?

Ich habe große Angst, dass mir, solange mein Mann lebt, etwas passieren könnte, denn es gibt nicht einen Menschen, von dem ich wüßte, dass er sich wirklich mit Herz um meinem Mann kümmern würde. Meine Schwiegereltern ausgenommen. Denen bin ich im Moment sehr dankbar, doch die machten mir auch schön öfter klar, dass ihr Alter bald mal ein Problem sein könnte um die volle alleinige Verantwortung zu übernehmen
Mir darf also auf gar keinen Fall was passieren.

Niemand sagt zu mir "wir schaffen das gemeinsam, Seite an Seite. Ich nehme Dir was ab und bin für ihn da, wenn Du mal nicht da bist".
Alle sagen nur: " Du machst das toll"

Natürlich macht man als Angehöriger, wenn man dem Betroffenen so intensiv zur Seite steht auch Fehler. Man stößt andere vor dem Kopf und hat vielleicht auch oft das Gefühl, dass andere sich gar nicht so gut , wie man selbst kümmern kann, doch wir mussten doch auch erst lernen mit der Situation umzugehen, mit immer wieder neuen Situationen und Gefühlsausbrüchen umzugehen unserer Lieben und akzeptieren lernen, dass nichts diese Sch...krankheit aufhalten kann.

Doch gleichzeitig wird man auch noch gezwungen sich mit dem unreifen Verhalten anderer auseinanderzusetzten. Denn für mich ist es egal, wie alt man ist, wenn man mit Krankheiten so schlecht umgehen kann und so ein Verhalten an den Tag legt, dann ist man egal ob mit 60 oder 20Jahren, noch unreif in diesem Abschnitt. Man mußte es eben bisher noch nicht lernen und zum lernen ist man doch nie zu alt oder?

Ich bin auch nicht mit solch einem Verhalten oder dem Bedürfniss solch eine Verantwortung zu übernehmen auf die Welt gekommen. Sondern die Frage hat sich für mich nicht gestellt wegzulaufen und ich bin da reingewachsen. Es ist so ein intensives Gefühl. Es tut so weh, es nimmt einem so viel und doch wenn man die Augen richtig aufmacht, wenn man genau zuhört und sich darauf einlassen kann einfach nur zu spüren, dann kann man doch gar nicht anders.
Jedes Lachen meines Mannes, jede Berührung, jede Träne, jeder Ausdruck auf seinem Gesicht, jede Geste gibt mir doch soviel und berührt mich. Läßt mich traurig werden oder auch sehr glücklich. Doch wie können andere es einfach nicht fühlen?

Nein, dass kann und will ich nicht verstehen und werde es wohl auch nicht verstehen. Doch ich spüre, dass meine Wut sich langsam verwandelt. Verwandelt in Mitleid, denn solche Menschen wissen nicht, was ihnen entgeht.

Tut mir leid, ich schreibe und schreibe. Mein Herz und meine Gefühle gehen wieder mit mir durch, ich weiß nicht ob Du verstehst, was ich ausdrücken möchte, ich meine es auch nicht böse.

Ich versuche nur zu erklären, dass niemand von uns so stark ist, wie er vielleicht wirkt oder tut. Doch viele haben von uns keine Chance, denn sie lieben ihren Partner, ihren Sohn, ihre Tochter, ihre Mutter, Vater, ihr Kind so sehr und haben im Verlauf der Krankheit einfach niemanden mehr, mit denen sie die Verantwortung wirklich teilen können, mit denen sie weinen können oder lachen.

Ich möchte Dich nicht verschrecken und hoffe, Du läßt Dich auch nicht verschrecken. Es gut und ist sehr wichtig beide Seiten zu hören. Und vielleicht habe ich auch absolut unrecht.

Es sind hier auch wirklich nur meine eigenen Gefühle beschrieben, als Antwort auf deine Gefühle.
Das ist ja auch der Grund, warum unser Forum hier so wichtig ist. Denn nirgendwo sonst kan man die Gefühle so offen zugeben wie hier.

Justine
Inge
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Beitrag: # 19787Beitrag Inge »

Liebe Justine. Soeben las ich Deine Zeilen. Weißt Du was ? - und ich bin ganz bestimmt keine Frau, die anderen Honig ums Maul schmiert - ich glaube, daß Du ein richtig prima Mensch bist, ganz sicher auch eine Freundin, auf die man zählen kann. Alles, was Du sagst ist mir wie aus der Seele gesprochen. Nur leider könnte ich es nicht so rüberbringen. Ganz genauso sehe ich das und ganz genauso ist es bei uns in der Familie bzw. bei den Verwandten, Enkelkindern usw. Die denken nicht nach, weil sie es nicht wollen. Ist ja immer jemand zur Stelle. Richtig, krank werden sollten wir nicht. Deshalb wünsch ich Dir alle Kraft der Welt. Und vergiß nicht, man trifft sich immer 2 mal im Leben. In diesem Sinne Euch allen ein angenehmes Wochenende. Und noch was: So klasse wie Deine Formulierungen und der Ausdruck Deiner Gefühle ist - vielleicht solltest Du mal ein Buch schreiben?Aber ich weiß, soviel Zeit und Kraft haben helfende und pflegende Angehörige bei dieser Krankheit nicht mehr....
auch mal an sich denken... und doch stark bleiben
Kalle
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Wenn ich traurig bin

Beitrag: # 19790Beitrag Kalle »

Hallo zusammen,

diese Diskussion finde ich sehr gut. Auch das ist eine Möglichkeit den Angehörigen und anderen mit an der Seite zu stehen. Natürlich ist es auch korrekt, dass viele das Leiden des geliebten ANgehörigen nicht ertragen können. Deswegen kommen sie selten oder garnicht. Ich möchte hier auf keinen Fall den Eindruck erstellen das die Familien Mitglieder sich vor der Verantwortung drücken wollen. In meiner Familie ist das genauso. Die Hilflosigkeit unser anderen Angehörigen und Freunde treibt sie in die Entfernung. Aber nicht nur sie sind Hilflos sondern der Pflegende Angehörige teilt das gleiche Schicksal. Der hat nur einen Kampf aufgenommen, den er nicht gewinnt. In unserem Haus steht ein Spruch im Treppenhaus an dem ich mit vielen Betroffenen oft stehen bleibe und diesen oft von ihnen vorlesen lasse, "Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren". Und der tägliche Kampf um den nächsten Tag ist alles was uns bleibt. Oft ist mir zum weinen zumute. Kann ich nicht auch mal mit jemanden gemeinsam weinen. Muß ich das immer mit mir selbst machen. Vor den Kranken, kan ich nicht weinen. Das würde den Betroffenen verletzten. Weil er sich dan schuldig fühlt mir eine Last zu sein. Weinen kann ich nur mit anderen. In den letzten zwei Tagen habe ich 9 Familien in Mitteldeutschland besucht. Mit eineigen habe ich auch getrauert. Aber um ihnen den Mut zu geben, das sie nicht allein sind in ihrem Schmerz. Einige habe ich neu kennengelernt. Einige kannte ich schon. Mit den neu kennen gelernten, hat eine neue Freundschaft begonnen. Mit denen die ich schon länger kenne wird die Freundschaft fester. Einigen konnte ich helfen weiter voranzukommen. Anderen die Angst vor dem Unbekannte lindern. So ist unsere Gemeinschaft. Das ist gut so.

Bis bald Kalle :P :P
tinko
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Wohnort: Sachsen

Beitrag: # 19799Beitrag tinko »

Hallo ihr alle,

das schöne am Forum hier ist, dass man grad an dem Thema hier sieht, he Leute, ihr seid nicht allein!! Schön, dass wir hier so offen und ehrlich, vor allem von dir, Justine, Gefühle und Empfindungen diskutieren kann. Ich kann mir ganz gut vorstellen, dass sich viele, die direkt mit der Pflege eines Angehörigen zu tun haben, oft hilflos fühlen und vielleicht auch , als müssten sie "funktionieren". Es darf bloß nichts passieren, denn wer soll diese Pflege dann übernehmen. Eine riesengroße Anerkennung an alle, die das tagtäglich auf ihren Schultern tragen. Ich als Tochter kann nur immer wieder anbieten, etwas von den Schultern zu nehmen. Sicher, ich weiß auch genau, ich würde auch kurzzeitig die Pflege meines Papas übernehmen. Aber ich gebe auch ehrlich zu und haltet mich vielleicht in diesem Punkt für egoistisch, eben nur für kurze Zeit, da ich ja auch beruflich ziemlich eingespannt bin (Gesundheitswesen). Sicher soll das jetzt keine Entschuldigung für mich sein, aber es ist auch unheimlich schwierig für mich, glaubt mir, mit dem Wissen, das krankmachende Gen in sich zu tragen, auch einen gewissen Selbstschutz für sich aufzubauen. Und ich will mich da eben momentan noch nicht damit auseinander setzen. Zur Zeit will ich einfach nur, in dem Sinne, wie es meine Möglichkeiten erlauben, für meine Eltern da sein. Leider hat meine Mutter, außer uns, fast keinen, mit dem sie mal über ihre Sorgen, Nöte, Ängste reden kann. Deshalb finde ich solch eine Plattform wie hier unheimlich wichtig. Vielen Dank dafür!
inschepup
Beiträge: 441
Registriert: 21.04.2007, 23:48

Beitrag: # 19808Beitrag inschepup »

Hallo Justine! Genauso, wie Du es beschrieben und geschrieben hast, fühle ich mich . LG inschepup
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