In Eigenverantwortung?

Chorea Huntington, eine Nervenkrankheit (auch schon mal Corea Huntington). Für Betroffene und Angehörige

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Hurz
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In Eigenverantwortung?

Beitrag: # 25269Beitrag Hurz »

Hallo!

Nach einigem Lesen habe ich mich nun durchgerungen, einfach mal drauflos zu schreiben...

Meine Mutter hat CH - seit ca. 10 Jahren in einer sehr ausgeprägten Form - rückblickend hat sich die Krankheit vor etwa 25 Jahren in ihr Leben geschlichen.

Geerbt hat sie sie von Ihrem Vater - als einziges Kind von Dreien.
Nach der Diagnose und dem kurz darauf folgenden Tod Ihres Vaters, fing ihr Verdrängen an und hält bis heute erfolgreich an.

Nach mehreren gescheiterten Beziehungen (anfangs waren die Agressionen der Grund - nun ist es die pflegebedürftigkeit) ist sie nun alleine und glaubt ihren Alltag bewältigen zu können.

Für die Beantragung der Pfegestufe I konnte ich ihr eine Unterschrift "herauskitzeln", dass wenn wir die beantragen, sie gute Aussichten hat, in ihrer Wohnung bleiben zu können.

Wenn es nach ihr geht, ist sie kerngesund, jugendlich frisch und dynamisch (letzteres hat zur Folge, dass sie oft stürzt, wenn sie zu Fuss unterwegs ist oder sogar alleine Walken geht).

Die Frage für mich ist nun, darf sie alleine bleiben? Was, wenn sie in der Wohnung fällt? Was, wenn sie den Herd anläßt o.ä.? Inwieweit kann ich das als Kind verantorten?

Fragen über Fragen - aber das mußte jetzt mal raus und tat sehr gut ;o)

...Diese 25 Jahre des "Hereinschleichens" der Krankheit, lassen mich, die jetzt genau in diesem relevanten Alter ist, täglich mehrmals innehalten, ob meine Konzentration, Tagesplanungen, Bewegungen...die eines gesunden Menschen sind...


Catheli
Beiträge: 53
Registriert: 15.11.2010, 12:11
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Beitrag: # 25275Beitrag Catheli »

Hallo,

Du hast heute auch das erste mal geschrieben.

Wie alt bist Du ? Wann bist Du "zuhause" ausgezogen ?

Wenn ich an Deine Mutter denke, vermute ich, dass sie sich wie eine ganz normale Mutter benimmt, die ihr Leben leben will, ihre Probleme von ihren Kindern soweit wie möglich fernzuhalten versucht, mit ihren krankheitsbedingten Unfällen umgeht, weil sie weiß, dass sie es nicht ändern kann. Trodzdem alles macht, was noch geht und was ihr Freude macht. Das ist doch ganz in Ordnung.
Du musst ihr vertrauen, dass sie aufhört, wenn sie die Unfälle vermeiden will. Das ist natürlich jetzt viel von Dir verlangt mit dem Vertrauen. Vielleicht kannst Du sie auch darauf ansprechen, ob sie lieber so leben möchte, dass sie weniger hinfällt, oder ob es ihr nicht so wichtig ist, dass sie hinfällt. Als Betroffener ist es verdammt schwer zu akzeptieren, dass man Pläne im Kopf hat, die der Körper nicht mitmacht, obwohl man sich im Kopf so fühlt, "wie früher".
Es geht mir selbst so. Nur, habe ich mich dafür entschieden, ungünstige Situationen, soweit möglich, zu vermeiden, während meine eigene Mutter lieber hingefallen ist.
Weißt Du, da ich selbst erlebt habe, wie belastend das sein kann, wenn man sich wegen so etwas Sorgen um seine Mutter macht. Deshalb vermeide ich, soweit ich kann, Umstände, wo sich meine Kinder Sorgen machen könnten.

Also ist es vermutlich eine Charaktersache ? Weiß sie, wie sehr Du mitleidest ? Was habt oder besser hattet ihr sonst so für ein Verhältnis ?
Das spielt dabei alles eine Rolle .

Vielleicht kann ich Dir helfen -

Catheli
Hurz
Beiträge: 4
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Beitrag: # 25283Beitrag Hurz »

Ich bin Mitte 40 und habe selbst schon erwachsene Kinder. Das Verhältnis zwischen meiner Mutter und mir war immer schon kompliziert - früh waren wir - die Kinder - ihr in Diskussionen überlegen, was bei ihr leider oft als letzte Instanz die Hand ausrutschen ließ oder noch mehr...Heute würde ich das Hilflosigkeit nennen - hat aber dazu beigetragen, dass wir nie ein gutes Verhältnis bekommen haben.
Die Krankheit war immer DASgroße Geheimnis - da wurde nicht drüber gesprochen. Zuviele Onkel von Ihr sind in der Psychatrie gestorben und nur ihr Vater war bis zum Schluß zu Hause.
Ich konnte Ihr halt nie verzeihen, dass sie bei ihrem Schweigen nicht an ihre Kinder gedacht hat. Ich werde verantortungsvoller sein!
Viele im Bekanntenkreis sagen "Lass sie alleine machen, wenn sie sagt sie will keine Hilfe...Sie wird sich schon melden, wenn doch..." Aber ich finde es halt sehr schwierig, wobei ich es noch schwieriger fänd, eine Pflegehilfe oder ein Pflegeheim gegen ihren Willen in Betracht zu ziehen. Alles sehr schwierig, weil doch jedes Verhältnis anders ist.
Wie lange weißt Du schon, dass Du betroffen bist?
LG
Hurz
Catheli
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Beitrag: # 25285Beitrag Catheli »

Da hast Du vollkommen recht, mit dem verschiedenen Verhältnissen.
Gerade habe ich auf eine Frage nach der unterschiedlichen Darstellung der Huntingtonkrankheit genau damit geantwortet, das die verschiedenen Menschen, die an so einem Schicksal beteiligt sind, die unterschiedlichen Auswirkungen ausmacht.

Ich möchte, entgegen der "normalen" Auffassung, dass man doch helfen "muss", wenn man bescheid weiss, Deinen Bekannten recht geben. Wenn Deine Mutter im Moment keine Hilfe möchte, muss sie wahrscheinlich erst erleben, wenn sie sich z.B. was bricht, oder ihren Einkauf nicht mehr nach Hause bekommt, dass sie mit Hilfe besser dran wäre. Das klingt zwar hart, aber Deine Mutter hat ihr eigenes Tempo, mit ihrer persönlichen Situation umzugehen. Und wenn das Thema bei Euch ohnehin totgeschwiegen wurde, ist sie garnicht in der Lage, offen darüber zu sprechen und sogar nachzudenken. Das ist aber nicht ihre Schuld - sie ist so aufgewachsen !
Wichtig ist, dass die Menschen in ihrer Umgebung Bescheid wissen, damit sie sie einordnen können. Vielleicht lässt sie sich z.B. von einem Nachbarn mehr ihre Situation bewusst machen, weil sie gewohnt ist, vor ihrer Familie zu schweigen. Du weisst sicher, was ich meine.
Ja, so siehst Du, was Du auf keinen Fall machen willst. Das ist auch eine Art Vorbild, auch wenn sich´s komisch anhört.

Was ich immer wieder sehe, ist das Problem, wenn Kinder, zu denen ich auch gehöre, in einer sehr schwierigen Situation aufgewachsen sind, dann irgendwann erfahren, dass viele Situationen, unter denen sie gelitten haben, durch eine Krankheit aufgetreten sind, die sie jetzt wahrscheinlich auch haben, ist das erste, das man befürchtet, so zu werden, wie das entsprechende Elternteil.
Die Krankheit wird dabei immer in Verbindung mit den Schlimmen Erlebnissen gesehen, nicht für sich.
Ich setzte mich seit 1998, nach meinem Positiven Test damit auseinander. Seit 7 Jahren bin ich erwerbsunfähig berentet, was mir noch mehr Zeit dazu gibt. Und ich muss sagen, nachdem es mir gelungen ist, diese beiden Komponenten Krankheit = Kindheit zu trennen, geht es mir erheblich besser.
Huntington, für sich gesehen, ist nicht das Drama - das, was man daraus macht, ist es.
Deshalb möchte ich hier in diesem Forum darauf hinweisen, damit sich die Menschen mit einem Huntingtongeprägten Schicksal ihr Drehbuch neu schreiben.
Du bist jetzt in der Situation, dass Du Dir nicht vertraust, was Deine Handlungen angeht. Da würde ich an Deiner Stelle die Frage stellen, will ich wissen, ob ich mir vertrauen kann, indem ich einen Test mache, oder ist es mir möglich, mein Befinden nicht in Frage zu stellen ?!
Selbstzweifel haben oft Krankheitssymptome :wink: Das ist mein voller ernst. Stell Dir die Frage und sei ehrlich zu Dir, vielleicht würde es Dir gut tun, eine Entwarnung zu bekommen, was auch immer; triff eine Entscheidung und sei konsequent !
Du bist nicht allein -

Catheli
Hurz
Beiträge: 4
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Beitrag: # 25288Beitrag Hurz »

Du glaubst garnicht, wie bereichernd Deine Antworten sind!
Es ist einfach so, dass ich mit niemandem "normal" darüber reden kann. Mein Mann geht da sehr pragmatisch heran und sagt, dass ich mir diese Situation "herangezüchtet" hätte, da ich schon viel, viel früher mit ihr hätte reden sollen.
Dass aber meine Versuche kläglich scheiterten, schiebt er darauf, dass ich unangenehmen Situationen aus dem Weg gehen möchte. Tatsächlich "rutsche" ich förmlich an ihr ab, weil sie eben in ihren Augen kerngesund ist und sie garnicht weiß was ich von ihr will. Sie bietet mir keine "Angriffsfläche" zum Gespräch - seit Jahren nicht mehr. Vlt. der Moment, wo andere die Zügel übernehmen würden. Dazu bin ich aber noch nicht bereit.
Sie stürzt halt sehr viel - auf fast jedem Spaziergang (sie ist immer alleine unterwegs) und im Haushalt über Teppiche (die man ja auch aus dem Weg räumen könnte). Und dann noch draußen auf dem Sims stehend Fenster putzen....
Jetzt mit Mitte 40 würde ich mich - relastisch betrachtet, wenn ich nicht gerade einen schlechten Tag habe - als noch nicht betroffen wahrnehmen.
Ich habe mir vorgenommen, mich noch ca. 5 Jahre zu beobachten. Dann sind die Kinder aus dem Haus und ich 50. Die Familiengeschichte hat gezeigt, dass spätestens ab diesem Zeitpunkt deutliche Merkmale vorhanden sind. So viel Zeit gebe ichmir noch.
Du bist eine sehr, sehr starke Frau und ich bewundere Dich, wie Du Deinen Weg gefunden hast.
Catheli
Beiträge: 53
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Beitrag: # 25289Beitrag Catheli »

Erst einmal Danke für Deine lieben Worte. Von jemandem, der weiss, worum mein Kampf geht, ist das etwas ganz anderes .
Zur Verteidigung, oder besser zum Verständnis Deiner Mutter und fast allen anderen Huntingtonkranken möchte ich ganz ehrlich sein - ich trau mir auch immer wieder wesentlich mehr zu, als ich kann. Das liegt daran, dass man "im Kopf" nicht anders wird, das ist so tückisch; als ich vor einem Jahr in diese Wohnung umgezogen bin, weil die Infrastruktur hier besser ist und ich gegenüber ein Krankenhaus habe, habe ich doch echt geglaubt, ich könnte dort noch Stundenweise arbeiten, um meine Rente aufzubessern. So - beknackt, schaff ich doch grad mal die Hausodnung, und das auch nicht immer. Mein Kopf signalisiert Power, aber mein Körper fühlt sich gar nicht angesprochen, das ist ´ne Zwickmühle ! Ich schleiche ´rum, - mich überhohlen die Rentner auf dem Gehweg. ... das ist mein wahres Tempo, aber mein Kopf sagt, Du bist doch erst 38 ! Die körperliche Veränderun geht so schnell, dass der Kopf das gar nicht registriert... Das ist also kein böser Wille von all uns Huntington betroffenen. Ich habe das Riesenglück, ein Ziel zu haben, ich habe meinen Kindern versprochen, so gut auf mich aufzupassen, dass ich noch so lange wie irgend möglich für sie da sein kann. Deshalb bin ich auch neben das Krankenhaus gezogen, vorher hatte ich in einem kleinen Dorf gewohnt, damit man mich nur ´rübertragen muss, wenn ich mal die Treppe runter falle, hab ich gesagt. Meine Nachbarn wissen Bescheid, auch wenn mein sonst so freundliches Gesicht mal zur Faust geballt ist, und ich keinen Plausch im Treppenhaus halte, wissen sie, das ich nicht generell bös bin, sondern nur einen schlechten Tag habe. Das war mir sehr wichtig, denn mir sind meine Mitmenschen ehrlich wichtig, und ich möchte keinen vor den Kopf stoßen.
Eine Sache, die ich Dir auch unbedingt sagen will - ich habe hier im Forum mal einen Beitrag von einem Mann gelesen, der klang, als hätte er ein Wunder erlebt, nachdem er seiner Frau 30 kg Übergewicht angefüttert hatte. Nachdem ich selbst geschafft habe, mir Speck anzufuttern, achte ich peniebel darauf, das er mir bleibt, der Unterschied ist wie Tag und Nacht - man ist sooo viel ruhiger. Also ich bin lieber dick und schlafe gut, als dass ich als Dünner Tag und Nacht um die Häuser ziehen muss, weil mein Körper nicht zur Ruhe kommt. Ich hab mir echt ein Blatt Papier genommen und alles aufgeschieben, was ich gehört und gelesen habe, habe dann ALLes ausprobiert und das Für und Wider ebenfalls aufgeschrieben, um mich dann zu entscheiden, was ich für mich gut empfinde. Bei mir läuft sehr viel Meditationsmusik, statt Radio. Das beruhigt nicht nur, sondern nimmt einem auch die Gedanken an sich selbst. So kann ich Gut leben, ohne Medikamente, denn die haben in erster Linie Einfluss auf den eigenen Willen, man wird gleichgültig gegenüber sich selbst und natürlich auch den anderen. Ich will mitkriegen, was ich denke und fühle , und vor allem meine innere Stimme hören ! Das ist ungeheuer wichtig.
Ich schreib Dir das, damit Du, Deine Kinder und auch Deine Mutter nicht aus "Schönheitsbewusstsein" schlank bleiben und Euch damit eine Falle stellen. Meine Mutter hat eine Zeit lang Babybrei und kiloweise Schokolade verdrückt - für sie leider zu spät, aber für Euch vielleicht nicht !
Weil ich gerade von meiner Mutter spreche, sie ist jetzt auch schon 10 Jahre in einem speziellen Pflegeheim, hat aber letztes Jahr erst ihren Rollstuhl bekommen. Das muss ich mir selbst auf der Zunge zergehen lassen, so lange - damals dachte ich, das schafft sie höchstens 2 Jahre, wenn überhaupt. Auch sie hat ausser abends einem Schlafmittel und Vitamintabletten nichts genommen, und den Schwestern erschien sie stur darin, nicht in den Rollstuhl zu gehen, sondern lieber hinzufallen. Auch ich habe gelernt, meine Sorgen loszulassen, sie, und auch Deine Mutter, ist schwer krank, und was passiert, passiert. Jeder hat seinen Schutzengel, und der hat unser Vertrauen verdient !
Gerade Dein Leben, liebe Hurz, darf sich nicht nur um Huntington drehen !
Ich bewahre mir immer, an erster Stelle ´Mutter´ zu sein. Sicher graut mir vor dem Tag, an dem meine Tochter denkt, die Verantwortung übernehmen zu müssen, aber das möchte ich nicht - diese Last hat, nach meiner Auffassung, nichts in ihrem Leben zu suchen. Vielleicht hat sie das Gen gar nicht geerbt und ist dann trotzdem einen Grossteil ihres Lebens damit beschäftigt. Das will ich nicht ! Ich habe das bei meiner Mutter auch nicht gemacht. Wenn es Probleme gab, habe ich, manchmal auch gegen jede ´Vernunft´ aussenstehender Menschen, ihre Interessen vertreten.
Ich hoffe, ich habe Dich mit so viel Mitteilsamkeit meinerseits nicht überfordert. Ich will nur, dass Du dich nicht zu Dingen gezwungen fühlst, weil man sie Dir rundherum einredet. Wobei sich dann keiner von Euch wohl fühlt.
Das Leben steht immer noch an erster Stelle -

Mit vielen lieben Gedanken an Dich

Catheli
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