Neues Mitglied mit Testergebnis

Chorea Huntington, eine Nervenkrankheit (auch schon mal Corea Huntington). Für Betroffene und Angehörige

Moderator: Moderatoren

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sonnen.schein
Beiträge: 1
Registriert: 02.02.2013, 09:41

Neues Mitglied mit Testergebnis

Beitrag: # 29887Beitrag sonnen.schein »

Liebes CH-Forum!

Ich lese schon sehr, sehr lange in diesem Forum mit. Sehr lange hab ich es dabei mit der Angst zu tun bekommen und habe es gedanklich ins hinterste Hinterstübchen verbannt.
Bis Sept. 2011 war ich Risikoperson. Mein Papa ist im Aug. 2010 nach geschätzen (so genau kann man das ja nie sagen) 17 Jahren Krankheit daran gestorben. Ich habe den Verlauf bei meinem armen Papa nur zu gut miterlebt, deshalb hab ich auch für mich beschlossen, mich testen zu lassen, wenn es an der Zeit für Familienplanung ist. Ich wollte das einem potenziellen Vater meiner Kinder niemals verheimlichen, im Gegenteil aber vor allem wollte ich bei einem positivem Testergebnis eher keine Kinder.
Dann hab ich mein Ergebnis bekommen: 45 Repeats! Innsgeheim hab ich damit gerechnet aber natürlich war es im ersten Moment ein Schock. Man kann sich noch so sehr gut darauf vorbereiten und sich damit auseinandersetzen aber wenn man es schwarz auf weiß hat, löst das ein absolut surreales, unbeschreibliches Gefühl aus und der Schock sitzt tief.
In der ersten Zeit nach dem Ergebnis wollt ich unbedingt doch ein Kind, ich dachte mir, wenn mein damaliger Partner (der mich unglaublich positiv und wundervoll unterstützt hat) damit einverstanden wäre, müsste ich erst recht ein Kind haben (ich wollte immer unbedingt Kinder haben). Ich danke aber Gott, dass es nicht klappen sollte und habe begonnen, mein Lebn zu überdenken. Was will ich wirklich mit der Zeit anfangen, die ich noch gesund erleben darf? Mich auf keinen Fall unterkriegen lassen war dann mein Resultat! Und das tun, was mich mit Freude erfüllt! Wenn man schon so ein Ergebnis hat, muss man dankbar dafür sein, dass man noch was daraus machen kann und vor allem darf man keine Zeit verschwenden. Daraufhin hab ich mein Leben komplett verändert: ich hab meinen alten, zwar gut bezahlten aber nicht erfüllenden Job aufgegeben um eine Ausbildung als Schneiderin anzufangen. Das erfüllt mich mit Freude, ich hab zwar fast kein Geld mehr aber es ist auch nicht wichtig. Ich hab mich gegen Kinder entschieden, ich wollte ihnen mein Schicksal ersparen aber vor allem möchte ich mein Leben genießen so lange es geht und dazu werde ich egoistisch sein und das lässt sich auf keinen Fall mit Kinder vereinbaren. Von meinem geschätzten Partner hab ich mich auch getrennt, es lief vorher schon nicht all zu gut und ich empfand es als nicht richtig, wenn ich schon alles in meinem Leben zu meinen Gunsten ändere, die Beziehung so zu belassen. Und ich wollte ihm auch den Weg für eine Familie (die er schon sehr gerne hätte) freimachen, ich dachte das ist nur fair. Wir haben uns, Gott sei Dank in ehrlicher Freundschaft getrennt.
So, und nun muss ich sagen, dass es mir wirklich gut geht! Natürlich gibts Momente, in denen ich Angst habe, die werden immer da sein aber mit einer positiven Einstellung und ein wenig Johanniskraut :D fühl ich mich wirklich gut. So komisch es auch klingen mag aber irgendwo bin ich fast ein wenig dankbar für diese Umstände, sie haben mich positiv verändert. Ich mache mir Gedanken darüber, was wirklich wichtig ist im Leben. Im Alltag lässt man sich viel zu oft vom Streß und der Oberflächlichkeit unserer Gesellschaft treiben. Ich genieße bewusst die Momente, in denen ich mit lieben und ehrlichen Freunden zusammen bin. Vorher waren mir materielle Dinge wichtig, man ist ja nur wer, wenn man etwas hat aber das ist nicht befriedigend! Ich geniesse den Sonnenschein, gute Musik, guten Kaffee und unendlich viele Kleinigkeiten, die im täglichen Leben ständig passieren wirklich bewusst und halte mir vor Augen, wie schön die sind.
Meine Mama ist aufgrund schwerer Depressionen in einem Pflegeheim untergebracht. Wenn ich sie besuchen komme und die Bewohner freundlich begrüße und mich für sie interessiere, freuen die sich so erhlich darüber, dass mich das echt glücklich macht. Deshalb möchte ich auch ehrenamtlich meine Hilfe anbieten.

Steve Jobs hat gesagt, dass die Zeit, in der er krank war, seine kreativste Zeit war. Ich kann dem absolut zustimmen!

Ich hoffe mein Text war nicht zu lange aber es ist schwer, mit wenig Worten das alles zu beschreiben.

Ich würde mich sehr über Rückmeldungen freuen aber vor allem freue ich mich, mit euch in Kontakt zu treten! Es gibt niemanden, der das alles verstehen kann, wenn er nicht selber betroffen ist.

Alles Liebe
sonnen.schein :D


Udo
Moderator
Beiträge: 5410
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Beitrag: # 29891Beitrag Udo »

Hallo Sonnenschein.

Du hast sehr schön beschrieben, worauf es ankommt, wenn einem Dinge passieren, die das Leben von heute auf morgen auf den Kopf stellen, und man sich fragen muss, was mache ich nun? Wenn wichtiges auf einmal unwichtig wird, und selbstverständliches, worauf man nie achtete, wichtig wird. Ich finde, das Du das sehr gut erkannt hast, und einen Weg gehst, der Dir bestimmt auch ein bißchen Sonnenschein beschert.

Udo
Zuletzt geändert von Udo am 24.02.2013, 18:19, insgesamt 1-mal geändert.
Abends geht die Sonne unter, morgens geht sie wieder auf !
Dr.Lange
Beiträge: 263
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Danke für diesen wichtigen Beitrag

Beitrag: # 30062Beitrag Dr.Lange »

Liebe Sonnenschein,
welch passendes Pseudonym!
Ihren Text finde ich so wichtig, dass ich ihn gerne Ratsuchenden Risikopersonen, die den

Test wollen, zum lesen geben würde - darf ich?
Der Text sollte auch im nächsten Huntington-Kurier abgedruckt werden - wäre das o.k.?
Weiterhin viel Freude im und am Leben - das ist eine gute Medizin fürs Gehirn, auch bei

Huntington-Betroffenen. Positive Lebensumstände werden den Ausbruch der HK verzögern und

ihren Verlauf mildern - ganz sicher!
Viel Glück & Kraft!
Dr.Lange
Kalle
Beiträge: 97
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Wohnort: Ansgarstraße 3 25524 Itzehoe

Risikoperson

Beitrag: # 30217Beitrag Kalle »

Hallo sonnen.schein,

Nun wenn viele so an die Problematik herangehen wäre dass ein Gewinn für alle. Ich nehme Deine Worte mit in die Konferenz für Junge Menschen mit HK am 13 und 14 in Stuttgart.
Wir werden dann im Kurier 2-2013 darüber berichten.
Ach , man könnte so viel schreiben !!!
Habt weiter den Mut Euch mitzuteilen.

Viele Grüße
Kalle :P
algro
Beiträge: 2
Registriert: 05.04.2013, 21:39

Beitrag: # 30392Beitrag algro »

Hallo liebes Forum,

ich lese hier auch schon seit geraumer Zeit im Forum mit und wollte euch ein paar Zeilen über meine Situation erzählen.
In meiner Familie väterlicherseits hatte sie mein Opa, der schon vor meiner Geburt gestorben ist. Mein Vater und meine Tante vererbten die HD. Nur eine Tante hatte das Glück diese Krankheit nicht zu bekommen. Bei meinem Vater waren die Ärzte auch ratlos und stellten ungefähr vor 20 Jahren fest, das er CH hat. Meine Schwester und ich konnten uns damals noch nicht vorstellen, was das zu bedeuten hatte. Wenige Zeit später starb meine Tante. Ich konnte den kompletten Krankheitsverlauf mitverfolgen. Irgendwann trennte sich meine Mutter von meinem Vater, was allerdings einen anderen Grund hatte. Meine Schwester und ich zogen mit meiner Mutter weit weg. Seitdem besuchte ich meinen Vater regelmäßig. Nach einiger Zeit ist er in ein betreutes Wohnheim, wo man sich sehr gut um ihn gekümmert hat. Bei jedem Besuch hat man einen körperlichen und geistigen Verfall erkennen können. Im Endstadium hat er uns nicht mal mehr erkannt. Letztes Jahr ist er im Alter von fast 60 Jahren gestorben und endlich von seinem Leid erlöst worden. Trotz das man sich auf diesen Moment innerlich einstellt und ihm diesen wünscht, ist es ein riesiger Schock gewesen, als es nun Realität wurde.

Ich selber habe mir schon länger gedacht, dass ich Symptome habe. Zum Beispiel habe ich meine ganze Kindheit und Jugend bis 28 Fußball gespielt und habe den Ball nie länger als 10 mal in der Luft halten (in Bayern sagt man Dandln) können. Meine Mitspieler konnten das teilweise Minutenweise. Nach und nach bemerkte ich die selben Symptome wie bei meinem Vater. Ich selber habe es immer verdrängen wollen, dennoch habe ich gemerkt, wie es meine Mutter und meine Schwester richtig beschäftigt hat. Nach meinem Studium zum Ingenieur habe ich einen tollen Job bekommen, wo ich meine damalige Freundin kennengelernt habe. Gleich zum Beginn habe ich ihr gesagt, dass mein Vater unter HD leidet und ihr die möglichen Risiken aufgezeigt. Bis zu diesem Zeitpunkt mit 28 Jahren habe ich nie über einen Test nachgedacht. Doch um Gewissheit in Sachen Familienplanung zu haben, habe ich mich testen lassen.
Wie befürchtet, bestätigte sich mein Verdacht. Nach der Blutabnahme sind 4 Wochen Zeit bis zur Bekanntgabe des Ergebnisses. Dann darf man einen Briefumschlag aufmachen und man liest die Zeilen. Positiv! Bam! Das Herz pocht wahnsinnig stark.Das war mit Abstand mein schwierigster Moment meines Lebens.
Mit meiner damaligen Freundin ging die Beziehung in die Brüche. Nach und nach bemerkte ich aber, dass sie auf Dauer nicht mit mir und der Krankheit zurecht kommt und wir uns schließlich trennen mussten. Ich konnte, ehrlich gesagt diesen Schritt total nachvollziehen. Diese Erfahrung habe ich nicht nur ein mal gemacht!! Mittlerweile bin ich schon so weit, das ich mir schon gar keine Freundin mehr suche.

Ich hatte das Glück und wir haben über einer Freundin meiner Schwester einen Professor an der Uniklinik in München kennengelernt, der mich hervorragend betreut.
Nun bin ich 31 Jahre und versuche mein Leben zu genießen und ich versuche positiver und freundlicher durchs Leben zu gehen als vorher. Ich mache viel Sport, fahre Mountainbike und gehe ins Fitnessstudio solange es geht. Momentan habe ich nur leichte Bewegungsstörungen, was den Sport noch zulässt. Meine Ernährung habe ich auch umgestellt und esse viel gesünder als vorher. Nehme jeden Tag Kreatin und Grünen Tee zu mir. Zusätzlich versuche ich viele Dinge noch zu machen. Ich gehe mit Freunden weg und reise viel. Nur was mich etwas stört, ist der Stress in der Arbeit.

Nun ja, das war meine 'kleine' Lebensgeschichte.

LG
Algro
Udo
Moderator
Beiträge: 5410
Registriert: 16.06.2006, 01:19
Wohnort: Itzehoe
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Beitrag: # 30394Beitrag Udo »

Hallo algro, willkommen hier im Forum und Danke für Deine Krankheitsgeschichte. Da es schon recht spät ist, melde ich mich später noch . Ich denke, das Du Dich hier im Forum auch schon ein bißchen "umgesehen" hast.


Gruß, Udo
Abends geht die Sonne unter, morgens geht sie wieder auf !
Catheli
Beiträge: 53
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Beitrag: # 30542Beitrag Catheli »

Lieber sonnen.schein ;)

Du sprichst mir aus der Seele - niemand setzt sich so intensiv mit dem Leben und dem Sterben auseinander wie jemand, der, wenn auch hart, darauf gestoßen wird.

Die Erkenntnisse und Ansichtsweisen sind durchaus ein Segen - und Du nimmst dies genauso an, wie es richtig ist.

... und wer sich ehranamtlich engagiert, kann so egoistisch gar nicht sein ... :)

Nichts anderes mache ich selbst. Man kann sich für so viele Dinge einsetzen und auch, wenn man zum Arbeiten nicht aus dem Haus geht, vieles erreichen.
Das mache ich schon seit einigen Jahren und gebe es hier auch immer wieder als Hoffnung bekannt !

Es ist so wichtig, dass ein Betroffener oder auch schon Erkrankter weiss, dass er zu noch sooo vielen Dingen in der Lage ist, manchmal sogar zu noch viel mehr und anderen Dingen, als ein nicht Betroffener.

Leider denken die meisten, zu denen ich auch eine Zeit gehörte, dass sie, wenn sie ihr bisheriges Leben nicht mehr so weiterführen können, überflüssig , eine Last und zu nichts zu gebrauchen sind.

Durch herbe Tiefschläge, aus denen ich mich nur selbst befreien konnte bin in die höchsten Höhen gekommen ---- so ein gutes Leben, wie jetzt, hatte ich noch NIE. Das muss sich mal einer vorstellen !!!

Deswegen will ich, dass das hier auch so viele Menschen, wie möglich mitbekommen, das es möglich ist, Buchstäblich " das Beste " daraus zu machen !

:) :)

ich freue mich, dass es dich gibt, sonnen.schein :)

Allerherzlichst

Cathérine
Catheli
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Wohnort: Korbach/Hessen

Beitrag: # 30543Beitrag Catheli »

Lieber Algro ;)

Du hast Dich tapfer gehalten ...

das mit den Freundinnen ist traurig aber verständlich. Ich wünsche Dir von ganzem Herzen ( solche Wünsche gehen dann bei mir auch zu 99 % in Erfüllung , also bei meinem Sohn klappts - wenn ich mir etwas für ihn wünsche, geht es in Erfüllung . Jetzt am Mittwoch erst ein 4 : 0 Sieg bei seinem Fußballspiel )
was ich sagen will , ich wünsche Dir, dass Die Frau zu Dir kommt, die Dich richtig sieht. Das heißt , dass alles andere unwichtig ist - das gibt´s . Hört sich an, wie im Märchen oder im Film ... gibt es aber wirklich.
Das ist dann eine Beziehung, die Du wirklich genießen kannst, weil sie alles andere als oberflächlich ist. Das ist das Bonbon - Du wirst die beste Frau bekommen.

Wenn es Dir möglich ist, dass Du den Job wechselst , Dir in Ruhe überlegst , was Dir liegt , wobei Du nicht müde oder unkonzentriert wirst und merkst " da geht noch mehr, da hab ich noch Reserven". Das versuche, umzusetzen. Ist das möglich ?

Ich hoffe, du fühlst dich nicht überrumpelt, dass ich dich so mütterlich anspreche - obwohl ich nur 10 Jahre älter bin, erscheint es mir doch der richtige Blickwinkel. So weißt Du auch, dass alles ehrlich und von ganzem Herzen von mir für Dich gemeint ist.

OK ? :)

Liebe Grüße

Cathérine
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