Trennung mit Schuldgefühlen

Chorea Huntington, eine Nervenkrankheit (auch schon mal Corea Huntington). Für Betroffene und Angehörige

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mereyem
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Trennung mit Schuldgefühlen

Beitrag: # 32759Beitrag mereyem »

Hallo,

ich bin neu hier und möchte mich erst einmal vorstellen. Ich bin 48 Jahre alt, habe einen Sohn, bin seit Jahren geschieden und habe vor ziemlich genau sechs Jahren einen Mann kennen gelernt, der mir recht schnell mitteilte, dass er an Chorea Huntington leidet.
Ich kannte diese Krankheit nicht und in der ersten Zeit der Verliebtheit spielte das alles auch keine besondere Rolle für mich oder uns. Oder ich habe es nicht begreifen können.
Ich habe in den folgenden Jahren Tiefen erlebt, die ich bis dato so nicht kannte...Bei meinem Partner folgten anfänglichen Depressionen schlimme Aggressionen verbaler, emotionaler Art. Das Schlimmste aber war die daraus bei mir resultierende Unsicherheit, Angst und im Laufe der Jahre war ich so häufig krank wie nie zuvor.
Ich habe mich vor einigen Wochen getrennt.
Der Grund dafür war nicht die furchtbare Diagnose an sich - über die Krankheit wurde ja kaum gesprochen, obwohl mein (Ex)Partner sogar an Studien teilnimmt- der Grund war u.a., dass es mir nicht im Geringsten gelang, etwas Freude, Glück, Positives in diese Beziehung zu bringen, weil er es gar nicht wertschätzen konnte.

Ich habe Schuldgefühle, ich höre noch immer die Sätze " du hast kein Verständnis, keine Empathie,verhältst dich unterirdisch" etc pp und erst jetzt verstehe ich, dass sein Verhalten mir gegenüber, seine Sturheit, Kritikunfähigkeit, Kälte.. mit dem Krankheitsverlauf zu tun haben können. All das habe ich nur begriffen, weil ich mich im Internet belesen habe.

Ich denke heute, dass er vieles in mich projizierte und -bei aller Liebe zu ihm- er hat, um sich selbst der Krankheit nicht stellen zu müssen, einen Teil meiner Persönlichkeit opfern wollen, indem er mich in Frage stellte oder mir für alles Schuld zuwies. Zu hart ?


Er hat ganz schwierige Lebensumstände. Familiär findet er keinen Rückhalt,ist geschieden, beruflich geht es bergab-seine Diagnose wurde auf widerliche Art und Weise in Umlauf gebracht, kaum mehr Freundeskreis..

Wie handelt man richtig?Wer oder was hilft? Ich weiß es schlicht nicht mehr.

Ich musste es mal loswerden...Danke für manch guten Beitrag hier im Forum von Seiten Betroffener, Angehöriger und auch Dr. Lange.

Liebe Grüße
Mereyem


Udo
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Beitrag: # 32760Beitrag Udo »

Hallo Mereyem, willkommen hier.


Die Huntington Erkrankung ist auch immer mit sehr vielen Emotionen auf beiden Seiten verbunden. Deine Frage, ob es richtig oder falsch war, das du Dich getrennt hast, ist wirklich nicht einfach zu beantworten. Allerdings ist es meistens so, das man sowieso nicht immer alles richtig machen kann, und darum würde ich mir persönlich nicht zu viele Vorwürfe machen. Ich denke, Du hast aus Deinem Bauchgefühl heraus das richtige für Dich gemacht. Leider gehen viele Beziehungen durch diese Erkrankung kaputt, bzw. machen irgendwann eine Beziehung im herkömmlichen Sinn auch nicht mehr möglich. Vielleicht ist es aber möglich, das Du für ihn eine Art gute Freundin bleibst, wenn Du das kannst oder möchtest. Bezugspersonen sind meistens sehr wichtig für Betroffene . Auf Schuldzuweisungen solltest Du nicht eingehen, und die auch nicht auf Dich münzen.

Gruß, Udo
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Nubia
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Beitrag: # 32764Beitrag Nubia »

Hallo mereyem,

auch von mir ein herzliches willkommen. Nur kurz von mir ich habe einen Mann der erkrankt ist wir wissen es seit ca.1 Jahr.Ich bin 49 Jahre alt und imt meinem Mann fast 26 Jahre verheiratet und ich habe im Moment sehr grosse Schwierigkeiten unser Ehe aufrecht zu halten. Das ist so. Die Krankheit verändert den Menschen den man liebt sehr und es ist schwer damit umzugehen.Doch ich finde jeder Mensch sollte für sich entscheiden dürfen ob man sich trennt und wann man sich trennt. Den es ist ja nicht das man sich mal eben trennt und wenn dann fällt es schwer. Auch sollte man an sich denken dürfen, den wenn man wie du dadurch auch selber krank wird ist das auch nicht gut.Wie Udo schon sagte,vielleicht kannst du deinem Ex.Partner ein guter Freund und vielleicht auch Wegbegleiter sein. Vielleicht sogar ein besserer als seine Partnerin zu sein ,die nicht mehr klar kommt.Vorwürfe von anderen Menschen lasse nicht an dich herankommen,sie sind nicht in deiner Situation .Solange du in den Spiegel schauen kannst( und das solltest du) ist es gut. Liebe Grüße Nubia
Nur in der Liebe sind Einheit und Zweiheit nicht im Widerspruch
mereyem
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Beitrag: # 32766Beitrag mereyem »

Hallo Udo, hallo Nubia,

vielen Dank für eure spontanen Antworten. Es tut gut zu erzählen.
Ich fühle mich mit allem im Moment sehr alleine, da ich nicht weiß, wie offen und frei ich über meinen Expartner und seine Erkrankung sprechen kann und darf.
Er selbst hat sie zwar benannt, allerdings lediglich über seine Depression wirklich sprechen können. Ich mache ihm keine Vorwürfe diesbezüglich, zumal ich vielleicht vieles selbst nicht wahrhaben wollte. Da war ich möglicherweise keine große Hilfe.
Seine Mutter leidet unter CH, lebt mit über 70 erstaunlicherweise noch alleine und kam bisher auch recht gut zurecht.Das gibt es also auch :) . Nur wirklich thematisieren, das ging nicht. Die Geschwister fallen als Stütze weg. Hat wohl mit Angst zu tun. Verständlich.
Einer seiner Söhne (17 J.)hat schon seit einer Weile große psychische Probleme, vielleicht aus verschiedenen Gründen (!!?).


Ich ziehe meinen Hut vor den Menschen, die sich der Krankheit stellen. Es hilft ihnen und allen nahen Menschen!

Freund sein - ja. Das möchte ich, auch wenn sich bei mir momentan noch gefühlsmäßig alles überschlägt und ich noch Zeit brauche. Ich habe unheimlich viel investiert an Liebe, Hoffnung, Kraft..
Wichtig wäre mir, dass er selbst sich dem allen stellt, nur dann können wir offen und vertrauensvoll miteinander umgehen.
Ich kann ihn nicht ja mit meinen Gedanken konfrontieren, wenn er seinen Weg anders gehen möchte....

Und verstellen oder verzichten oder nur gewissen Zwecken dienen, das ist ja auch keine Basis für eine gute Beziehung zueinander.
Vielleicht braucht alles einfach ein wenig Zeit. Das wäre gut!

Euch einen schönen Sonntag.
Mereyem



:) :) :) :) :)
Dr.Lange
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Beziehung gescheitert

Beitrag: # 32776Beitrag Dr.Lange »

Danke für das Lob für meine Tätigkeit im Forum. Diese nette Geste zeigt mir, dass es bestimmt nicht an Ihnen gelegen hat, dass die Beziehung nicht funktioniert hat.
Wenn eine Beziehung nicht mehr funktioniert - sei es auch nur für einen der Partner - dann macht es keinen Sinn, an ihr festzuhalten, das macht nur krank. Auch dem Huntington-Kranken schaden ungute Beziehungen, daher ist es richtig, sie zu beenden.
Auch wenn man vom Verstand her weiß, dass man richtig entschieden hat, gibt es sicher auch Schuldgefühle. Da kann Psychotherapie sehr helfen.
Ob man die Rolle als Freund übernehmen kann, hängt mehr davon ab, ob der Huntington-Kranke das akzeptiert, als davon, ob man die Rolle übernehmen möchte. Eine Pflicht, die Rolle zu übernehmen, besteht nicht.
Dr.Lange
mereyem
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Beitrag: # 32782Beitrag mereyem »

Hallo Dr. Lange,

es ist regelrecht tröstlich, so bestärkende Antworten zu bekommen. Da fühlt man sich, da ich kaum wüsste, wer meine Gedanken nachvollziehen kann, nochmal richtig wichtig genommen. Danke!
Ich stimme dem vollkommen zu, "Freundin" sein nach Beziehung, ist so leicht nicht und hängt nicht nur von meinem guten Willen ab. Zumal auch ich es hinkriegen muss und natürlich muss es beiden Menschen gut tun. Es wird sich weisen..


Psychotherapeutische Hilfe anzunehmen, daran habe ich auch gedacht. Nur möchte ich dann einen so klugen, bewanderten Psychologen finden, der sich mit CH auskennt und nicht nur mich bestärkt :) .

Ich habe zwei Fragen,die mich bewegen:
Mein Expartner hat im Hintergrund eine Familie (Mutter, Geschwister), die, wie ich es erleben und empfinden konnte, sehr instabile Persönlichkeiten hat und sich ganz und gar nicht trägt.
Ich frage mich nun, hat CH dies bewirkt - ist das typisch für von CH betroffene Familien- oder gibt es tatsächlich auch solche, die emotionale Stabilität etc bieten und sich die Schwierigkeiten dann leider später irgendwann krankheitsbedingt ergeben?

Sind die psychatrischen Auswirkungen der CH ähnlich denen der landläufig bekannten Persönlichkeitsstörungen?

Ich bin Lehrerin (Haupt/Real), bekomme auch da manches mit und möchte noch dazulernen. Vielleicht finden Sie Zeit für eine Antwort.

Mereyem
Dr.Lange
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Psychotherapie

Beitrag: # 32796Beitrag Dr.Lange »

mereyem hat geschrieben: Psychotherapeutische Hilfe anzunehmen, daran habe ich auch gedacht. Nur möchte ich dann einen so klugen, bewanderten Psychologen finden, der sich mit CH auskennt und nicht nur mich bestärkt :) .
Wäre natürlich gut, wenn der/die Psychotherapeut/in Ahnung von der HK hätte, aber der Erfolg der PT hängt davon ab, ob Sie Vertauen aufbauen können und sich verstanden fühlen - dann wird PT helfen.
Dr.Lange
Dr.Lange
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zwei Fragen

Beitrag: # 32798Beitrag Dr.Lange »

mereyem hat geschrieben: Ich habe zwei Fragen,die mich bewegen:
Mein Expartner hat im Hintergrund eine Familie (Mutter, Geschwister), die, wie ich es erleben und empfinden konnte, sehr instabile Persönlichkeiten hat und sich ganz und gar nicht trägt.
Ich frage mich nun, hat CH dies bewirkt - ist das typisch für von CH betroffene Familien- oder gibt es tatsächlich auch solche, die emotionale Stabilität etc bieten und sich die Schwierigkeiten dann leider später irgendwann krankheitsbedingt ergeben?

Sind die psychatrischen Auswirkungen der CH ähnlich denen der landläufig bekannten Persönlichkeitsstörungen?
Leider ist das Fazit meiner mehr als 30jährigen Tätigkeit für HK-Familien, dass nur eine Minderheit stabile, belastbare Beziehungen aufweist. Aber es gibt bewundernswerte Ausnahmen, Menschen von solcher Größe und Herzlichkeit, dass es einem die Sprache verschlägt. Aber es gibt keinen Grund, den Stab über diejenigen zu brechen, die mit der HK überfordert sind. Wer kann schon von sich behaupten, dass er dieser 365-Tage-im-Jahr-rund-um-die-Uhr-Belastung gewachsen wäre? Ich sicher nicht. Und Überforderung verkraftet kein Gehirn auf Dauer. Affektlabilität ist die Folge.
Das sonstige Spektrum der psychischen Störungen umfasst die ganze Bandbreite der Psychiatrie - entsprechend häufig sind jahrelange Fehldiagnosen unter dem Label Schizophrenie, Depression, Neurose, Simulant. Richtige Hilfe (=Therapie) kann es nur bei richtiger Diagnose geben - ein Trauerspiel.
Allen Angehörigen in HK-Familien kann ich nur raten: Wenden Sie sich an Spezialisten - alles andere ist drittklassig.
Dr.Lange
mereyem
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Beitrag: # 32806Beitrag mereyem »

Genauso habe ich es empfunden, mit Therapie ging es teilweise noch steiler bergab.

Wie gut, dass es ganz starke,liebevolle Menschen gibt, denen viel gelingt, und absolut verständlich, dass es Familien gibt, die mit dieser so vielschichtigen Belastung nur schwer zurechtkommen.

Ich habe das Glück, gesund zu sein und bei all den schweren Zeiten, die ich in den letzten Jahren mit meinem betroffenen Expartner hatte, wurde ich für vieles sensibilisiert, bin dankbarer und wertschätzender geworden was mein eigenes Leben angeht wie auch den Umgang mit anderen.
Das ist gut.
Was diese Menschen und deren Familien zu tragen haben, ist kaum zu ermessen.
Ich finde es stark, dass Sie hier im Forum Rede und Antwort stehen, Sie sich die Zeit dafür nehmen, mitfühlen und -denken. Das ist sehr hilfreich.

Sollte ich nicht klar kommen, werde ich psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen.
Aber durch den kurzen Austausch bin ich schon wieder ein kleines Stück weiter.
Ein Mensch muss wollen-sehen wollen, akzeptieren wollen, machen wollen oder Freund sein wollen...

Hoffentlich gibt es bald einen Durchbruch in der Erforschung dieser Krankheit!

Mit herzlichen Grüßen
Mereyem
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