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Chorea Huntington, eine Nervenkrankheit (auch schon mal Corea Huntington). Für Betroffene und Angehörige

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*Anna*
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Beitrag: # 4876Beitrag *Anna* »

Ich möchte euch von meinem Leben erzählen, damit ihr mich besser kennenlernt.

Ich bin im April 1982 in Hannover zur Welt gekommen. Meine Mama war Lehrerin und mein Papa Arzt. Sie hatten eine turbulente Beziehung. Meine Mum war sehr temperamentvoll und lebendig. Mein Papa hat sie deshalb, aber auch wegen ihrem Intellekt, ihrer Herzlichkeit und ihrer Schönheit über alles geliebt. Sie wußte um das Risiko von Chorea Huntington in ihrer Familie und ließ sich Mitte der siebziger Jahre durch ein ganz anderes Verfahren als es heute üblich ist, testen. Ergebnis: mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nicht Genträger. Daraufhin setzte sie die Pille ab und bekam 1980 meinen großen Bruder. Meine Kindheit verlief weitestgehend glücklich, bis ich merkte, dass irgendetwas nicht stimmt. Meine Mama wurde depressiv, teils auch aggressiv- auch gegen uns. So kannte ich sie gar nicht. Ich wußte nicht, was los war. Es wurde mit der Zeit immer schlimmer. Ich hatte irgendwann angst davor nach der Schule nach hause zu kommen.
Auf die Frage, was denn mit Mama los sei, hat meine Vater nur rumgedruckst von irgendwas von einer Demenzkrankheit erzählt.
Im letzten halben Jahr ihrer Erkrankung hatte sie Wahnvorstellungen und ist extrem abgemagert. Ich wollte sie immer dazu auffordern, wenn nicht zwingen, etwas zu essen. Letztendlich damit, dass ich gedroht habe selbst nichts mehr zu essen, was ich auch tat. Hat natürlich nichts geholfen.
Meine Mama ist am 27.12.97 in ihrem Bett an Organversagen gestorben.

Wie ich jetzt erfahren habe, wurde mein Bruder bereits kurz danach von meinem Onkel über HD informiert. Er und mein Papa beschlossen gemeinsam, mich zu "schonen".

Bei uns zu hause wurde danach alles anders. Mein Vater wollte alle schlimmen Erinnerungen wegwischen, renovierte das ganz Haus und über die Krankheit ward nie wieder gesprochen. Nur mein Hungern blieb...habe dazu mehr im Essstörungs-Forum geschrieben.
Ich wollte alles vergessen und ein perfektes Leben führen, machte mein Abi, zog nach Göttingen, um zu studieren. Mit der Zeit stellten sich zu meiner Magersucht auch noch Angstattacken ein, was mich dazu bewog, mich in Psychotherapie zu begeben. Mein Vater informierte meine Therapeutin vorab von Chorea Huntington, wovon ich aber imernoch nichts wußte. Sie arbeitete immer wieder auf das Thema hin, bis ich am 23.1.06 nicht mehr anders konnte, als meinen Vater direkt zu fragen, was Mama denn nun wirklich hatte. Im Grunde wußte ich es die ganzen scht Jahre, habe es aber mit sehr viel Durchhaltevermögen verdrängt.
Zuerst war es ein Schock, dann folgte die Akzeptanz und nun versuche ich das beste daraus zu machen. Testen lasse ich mich erstmal nicht. Vielleicht, wenn ich eine Familie gründen will irgendwann.

Ich bin erleichtert, es jetzt zu wissen und denke wieder mit Freuden an meine Mama, die ich sehr sehr geliebt habe. Es tut mir schrecklich weh, dass sie so alleine mit ihrer Krankheit war. Es als Makel empfunden haben muss, über den sie mit niemanden reden durfte. Das ist es, was ich für mich auf jeden Fall verhindern will. Ich möchte alles über HD wissen und alles über mich andere wissen lassen. Ich möchte mich den Tatsachen stellen ohne von ihnen vereinnahmt zu werden und mit ihnen leben. Glücklich leben. Und ich weiß, ich schaffe es.


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